Ein Buch für Weihnachten – A book for Christmas – Un libro per Natale

un libro per natale

Dieses Buch ist sehr empfehlenswert. Es ist ein sehr persönlicher, empathischer Blick auf die Flüchtlingskrise. Am liebsten würde ich es all denen unter den Weihnachtsbaum legen, die gegen Flüchtlinge hetzen oder Abschiebungen in Länder wie Afghanistan befürworten.

I’d really like to recommend you this book. It is a very personal, empathic view on what we call the refugee crisis. If I could, I would put this beneath the Cristmas tree of all those who spread hatred towards refugees or are in favor of deportations to countries such as Afghanistan.

Oggi vorrei raccomandarvi questo libro. È un punto di vista molto personale ed empatico su ciò che chiamiamo la crisi dei rifugiati. Se potessi, mi piacerebbe metterlo sotto l’albero di Natale di ciascuno che incita odio contro i rifugiati o è in favore a deportazioni in paesi come è Afghanistan.

 

Titolo originale: Nel mare ci sono i coccodrilli. Storia vera di Enaiatollah Akbari

English title: In The Sea There Are Crocodiles

Dezember 2018

Eine Ungerechtigkeit, die sprachlos macht

Wer sich mit der Menschenrechtsthematik auseinandersetzt, realisiert schnell, wie viele Menschen auch im 21. Jahrhundert noch Willkür ausgesetzt sind. Von Saudi Arabien über Eritrea bis nach Russland, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, erreichen uns immer und immer wieder Nachrichten von Menschenrechtsverletzungen. Es sind Schicksale, die nur diejenigen kaltlassen können, die ein Herz aus Stein haben. Auch diesmal ist es eine solche Geschichte, die mich dazu bewegt, diese Zeilen hier zu schreiben.

Es ist eine Geschichte, die das Potential hätte, aus einem Märchenbuch zu stammen. Es war einmal eine Familie, die in ihrem Heimatland Terror und Verfolgung erlebte. Deswegen schliesslich entschloss sie sich zu fliehen, um anderswo ein neues Leben zu beginnen, ein Leben ohne Angst und ohne Gewalt. Nach jahrelanger Odyssee schliesslich hat sie Zuflucht in der Schweiz gefunden. Das Ankommen im Alltag in diesem neuen Zuhause war sicherlich nicht einfach, und dennoch wurde die Familie Teil der Gemeinschaft. Die Kinder konnten zur Schule gehen und fanden gute Freunde. Doch eine wesentliche Sache unterscheidet diese Geschichte von einem Märchen. Es fehlt nämlich ein Abschluss, wie er bei Märchen übrig ist. Es gibt kein „und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ und auch kein „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“. Dies liegt daran, dass diese Geschichte kein Happy End kennt. Zuerst kam die Hiobsbotschaft, das Asylgesuch sei abgelehnt. Letzten Monat schliesslich, vier Jahre nach der Ankunft in der Schweiz, wurde die Familie in ihr „Heimatland“ Tschetschenien ausgeschafft – ein Land, das den Kindern mittlerweile fremd ist und in dem immer noch Terror und Unterdrückung herrschen.

Dieser Ausgang trotz Kampagne in den Medien und Unterstützung der Bevölkerung der Gemeinde Kilchberg wirft Fragen auf. Warum hier Kinder aus einem intakten Umfeld herausgerissen und die ganze Familie unnötigem Leid ausgesetzt wird, lässt sich weder rational noch moralisch begründen. Auch auf rechtlicher Ebene spricht so einiges gegen eine Ausschaffung. Tatsächlich weisen Kritiker dieses Beschlusses immer wieder darauf hin, dass Mängel im Verfahren bestanden. So wurde beispielsweise weder die tatsächliche menschenrechtliche Situation genügend wahrgenommen, auch wurden die Bezugspersonen der Asylbehörde, welche persönlich in Kontakt zu der Familie standen, bei der Urteilsfindung nicht einbezogen.

Eine beispielhaft integrierte Familie, welche hier Fuss gefasst hatte, wurde auf Kosten der Steuerzahler ihrer Zukunft beraubt, indem man sie in ein Land zurückfliegt, von dessen Besuch das EDA in den Reisehinweisen abrät. An dieser Stelle in orwellscher Manier von einer einvernehmlichen Lösung zu sprechen, nach all den Schikanen, dem unfassbaren Druck, der auf diese Menschen einschliesslich der Kinder ausgeübt wurde, ist absolut unmenschlich und eines funktionierenden Rechtsstaates nicht würdig. Denn es lässt sich mit keinen rechtlichen Grundlagen erklären, wie es dazu kommen konnte, dass eine Familie, die gemäss eigenen Aussagen in ihrer Heimat verfolgt wurde, erneut dorthin geschickt wurde, wo ihr mit grosser Wahrscheinlichkeit neues Unheil droht. Die Behörden begründen ihren Entscheid damit, dass es nicht genügend Beweise für eine Verfolgung gäbe. Auch dies klingt wie der blanke Hohn. Wahrscheinlich bedeutet dies, dass demnächst ein jeder und eine jede sich vor seiner Flucht von seinen Folterknechten ein schriftliches Attest ausstellen lassen muss, welches bezeugt, dass er oder sie verfolgt wurde. Nur ist es äusserst fraglich, ob diese denn auch zu einer solchen Zusammenarbeit bereit wären. Die zuständigen Behörden scheinen sich aber auch hier keine Sorgen zu machen. Wenn es der Familie, doch so gut gelungen ist, sich in der Schweiz zu integrieren, werde ihr das sicherlich auch in Tschetschenien nicht schwerfallen!

Während ich mich ausführlicher mit diesem Fall beschäftigt habe, musste ich mir immer wieder bewusst werden, dass ich gerade keine Erzählung von Orwell oder Kafka lese, sondern mich mit real existierender Schweizer Realität auseinandersetze. Es ist eine Realität, die Sprachlosigkeit, Ohnmacht und Enttäuschung hervorruft, ob all dem Leid, dass hier in Kauf genommen wurde und welches eigentlich hätte verhindert werden können. Es ist Leid, dass unter Umständen nie mehr wiedergutgemacht werden kann. Denn womöglich ist es zu spät, das Geschehene lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Was die Familie in Tschetschenien erwartet, kann niemand voraussagen.

Dieser Fall hat auf eindrückliche Weise gezeigt, dass auch in einen vermeintlich gerechten Staat wie der Schweiz kein hundertprozentiger Schutz vor Menschenrechtsverletzungen besteht. Das Verfahren gegenüber der tschetschenischen Familie ist eines Rechtsstaates unwürdig. Denn ein solcher, sollte eigentlich Möglichkeiten zum Schutz vor behördlicher Willkür bieten und nicht diese erst durchsetzen. Es wird höchste Zeit, dass sich die Schweiz ihrer Ursprünge bewusst wird und die Behörden bei der Entscheidungsfindung auf den Wortlaut der Präambel der Bundesverfassung besinnen, welcher besagt: „gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.“

 

Weiterführende Links:

 

Die Unterstützungskampagne „Hier zuhause“ verfügt über eine eigene Website. Neben einer ausführlichen Dokumentation des Schicksals der Familie M. und Hintergrundinformationen über Lage in Tschetschenien findet man hier auch Möglichkeiten zur Unterstützung, sowie Updates über die Situation der Familie und das Härtefallgesuch.  http://www.hierzuhause.ch/

Facebookseite „Hier zuhause“

 

Von Flüchtlingen und Vorurteilen

Tag für Tag werde ich mit schlechten Nachrichten konfrontiert, mit Reaktionen und Ereignissen, die bei mir grosses Unverständnis hervorrufen.

Hetze, Hass, Drohungen und Beleidigungen gegenüber Flüchtlingen und denjenigen, die sich auf ihre Seite stellen, sind ein Phänomen, das immer neue Formen annimmt. Die Migrationswelle, wie es sie im Moment gibt, ist für die europäischen Staaten im Moment schwierig zu bewältigen. Das kann bei der Bevölkerung Verlustängste und Befürchtungen auslösen. Das Thema muss also diskutiert werden, diese Befürchtungen nicht einfach tabuisiert und ignoriert werden. Doch dies sollte auf einem konstruktiven Weg getan werden, einem der nicht nur noch mehr Hass und noch mehr Ängste auslöst – egal von welcher Seite. Aber das ist leider bisher viel zu wenig geschehen, die Tendenz ist erst langsam am Kommen. Was mich schockiert, ist, wieviel auf beiden Seiten generalisiert, geflucht und persönlich angegriffen wird. Oft habe ich bemerkt, dass nicht die eigentlichen Argumente diskutiert wurden, sondern die Personen an sich und zwar aufgrund ihres Alters, Geschlechts, Herkunftsorts, der Meinung, der Bildung – jede Menge persönliche Sachen, die ganz bestimmt nicht in eine öffentliche Diskussion im Internet gehören. Die eigentlichen Vorschläge, Gedanken und Argumente werden entweder gar nicht erst gelesen, wahrgenommen oder von Anfang an gewertet und aus einem bestimmten Blickwinkel angeschaut und die Person in eine Schublade gesteckt, in die sie womöglich gar nicht gehört. Und das gilt leider für so ziemlich alle Diskussionsparteien.

Solche Stammtischparolen aller Art sind nichts Neues. Besonders wenn es um das Thema Ausländer und Migration geht. Es sind die Ausmasse, die das Ganze angenommen hat. Bei dieser tickenden Zeitbombe ist es nicht gerade hilfreich, wenn gewisse Medien genau diese stereotypischen Vorstellungen noch verstärken. Zudem gibt es in so ziemlich jedem europäischen Land Politiker, die die Gunst der Stunde wittern, in dieser angespannten Zeit noch mehr Angst schüren mit dem einzigen Ziel, bei den Wahlen gut abzuschneiden. Die Leben anderer Menschen sind ihnen in diesem Zeitpunkt egal, das wichtigste ist der eigene Profit. So erreichen sie viele Menschen, die bereits Befürchtungen hegen. Je mehr Menschen diese zum Ausdruck bringen, umso mehr gewaltbereite Gruppierungen fühlen sich in ihrer Ideologie bestärkt und erhalten so auch Zulauf. Gedankengut, was vorher diesen Gruppen vorenthalten war, wird nun von Menschen aufgegriffen, von denen man so etwas nie erwartet hätte.

In diesen Wochen habe ich mich oft gefragt, was andere Menschen dazu bringt, Menschen zu hassen, die sie nicht einmal kennen, warum gönnt man anderen nicht, dass auch sie ein würdiges Leben führen dürfen? Ich weiss es nicht. Natürlich gibt es mögliche psychische Ursachen. Jeder von uns hat Respekt vor Unbekanntem, da sich dieses für das menschliche Gehirn schlechter einschätzen lässt. Bei manchen ist diese Eigenschaft stärker ausgeprägt, bei anderen weniger stark.

Schlussendlich unterscheidet uns von diesen Menschen doch nur, dass wir das Glück haben, in einem reichen Land zu leben und nicht jeden Tag Angst haben zu müssen, den darauffolgenden nicht mehr zu überleben. Wären diese Menschen in derselben Situation, würden sie wahrscheinlich ähnlich reagieren. Zuhause im Schutze des heimischen Wohnzimmers vor dem Computer lässt sich leicht darüber schreiben, wie man in einer Konfliktsituation reagieren sollte. Mit dieser sicheren Distanz ist schnell einmal ein Satz geschrieben wie „In dieser Situation würde ich in meinem Heimatland bleiben und kämpfen“. Wenn aber dann das eigene Leben in Gefahr ist und hinter jeder Ecke der Tod lauern könnte, sieht die Welt dann doch ganz anders aus.
Diejenigen die es bis zu uns schaffen, haben oft Schreckliches erlebt – Zustände, die wir uns nicht einmal vorstellen können – sind womöglich traumatisiert und möchten nach einer jahrelangen Odyssee endlich wieder ein normales Leben leben. Sie wollen niemanden betrügen, oder auf unseren Kosten leben. Was sie wollen, ist ein geregeltes Leben – wie wir alle. Viele dieser Menschen wollen arbeiten, wollen Europa etwas zurückgeben, dafür dass man ihnen in dieser schwierigen Zeit Unterschlupf gewährt. Manche von ihnen sind gut ausgebildet, andere weniger, da sie diese Möglichkeit in ihrem Heimatland nicht hatten. In ihnen stecken aber womöglich noch viele verborgene Talente, die uns allen helfen könnten. Ja, vielleicht müssen sie manchmal von Sozialhilfe leben, aber nicht unbedingt, weil sie sich verweigern oder ein schönes Leben haben wollen, ohne etwas dafür zu tun, sondern weil es ihnen einfach nicht möglich ist, eine Stelle zu finden. Das liegt daran, dass Vorurteile wahrscheinlich auch zu den Auswahlkriterien der Arbeitgeber gehören, und zwar nicht nur ihre eigenen Vorurteile, sondern vor allem auch diejenigen der Kunden. Würde man aber auch Geflüchtete in den Arbeitsmarkt einbeziehen, würden diese nicht nur bei der Arbeit etwas bewirken, sie würden auch Steuern zahlen und auf die Dauer unsere Sozialversicherungen sanieren. Darauf sind die westlichen Staaten dringend angewiesen. In allen westlichen Staaten (mit Ausnahme der USA – Einwanderung sei Dank) ist die Bevölkerungszahl rückläufig. Aufgrund unserer wirtschaftlichen und sozialen Lage sterben heute schon mehr Menschen, als Kinder geboren werden. Diese Tendenz wird in der Zukunft noch steigen. Da sind junge arbeitswillige Menschen etwas Willkommenes.

Beim Lesen der Kommentare ist mir zudem eine absurde Form von Neid entgegengeweht. Neid, der sich bei genauerem Hinsehen in Luft auflöst. Es gibt da so manchen, der gerne Flüchtling wäre, schliesslich erhielten diese doch gewisse Privilegien. Doch man muss sich nur einen kurzen Augenblick Zeit nehmen und sich vorstellen, was es bedeutet, Flüchtling zu sein. Ist es etwa ein Privileg, wenn man Gewalt und eine lebensgefährliche Flucht erlebt hat – Erfahrungen die überall ihre Spuren hinterlassen haben? Ist es ein Privileg, wenn man unfreiwillig von seinen Liebsten getrennt wurde sei es durch den Tod oder die Distanz. Ist es ein Privileg, wenn man die ganzen Ersparnisse der Familie zusammengekratzt hat um vor Gewalt, Unfreiheit, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit zu entfliehen und nun im vermeintlichen Paradies Europa erneut auf Hass und Ablehnung stösst? Ist es ein Privileg, wenn einem überall das Gefühl gegeben wirf, man könne nirgends mehr ein würdiges Leben führen, weil man hier nicht auf einen gewartet hat und es kein Zurück mehr gibt? Ist es ein Privileg, wenn die Zustände im Heimatland so prekär sind, dass man in ein fernes Land fliehen muss, dessen Sprache man nicht spricht und von dessen Kultur man nur eine vage Vorstellung hat? Ist es ein Privileg wenn man bei jeder Bewegung, jedem Wort Angst haben muss, dass diese von den Einheimischen als Provokation oder Beleidung aufgefasst werden könnte, bloss weil das hier nicht so üblich ist und man das nicht im Voraus wissen kann? Ist es ein Privileg, wenn man vor Islamisten geflüchtet ist, um dann mit ebendiesen gleichgesetzt zu werden, nur weil man selbst ein friedliebender praktizierender Muslim ist? Diese Auflistung könnte noch eine Ewigkeit so weitergehen.

Besonders diesen letzten Vergleich musste ich leider schon oft genug sehen. Verzweifelte unschuldige Menschen pauschal mit denjenigen gleichzusetzen, die ihnen in ihrer Heimat mit ihren Gräueltaten das Leben unmöglich gemacht haben – das kann an keinem, der einen gesunden Menschenverstand hat, einfach so vorbeigehen.

Natürlich müssen wir aufpassen, dass wir nicht den gleichen Fehler wie die „besorgten Bürger“machen. Auch wir dürfen die Flüchtlinge nicht als homogenes Gefüge wahrnehmen. Es ist gut möglich, dass sich in dieser Masse auch Menschen einschleichen, die unser Vertrauen tatsächlich ausnutzen, die kriminelle Hintergedanken haben. Die Gruppe der Flüchtlinge beinhaltet, gleich wie die ganze Menschheit, Personen mit verschiedenstem Verhalten und unterschiedlichsten Hintergründen.

Von einem Menschen, einer schlechten Erfahrung, die man unter Umständen nicht einmal selbst gemacht hat, auf alle zu schliessen, ist falsch. In jedem Flüchtling einen Kriminellen oder einen Terroristen zu sehen, ist eine unrealistische Angst. Es geht ja auch nicht jeder in die Stadt und befürchtet hinter jedem Menschen einen Mörder. Einen gewissen Respekt zu haben, zu hinterfragen, ist eine hilfreiche Sache, aber sich von seinen Ängsten leiten zu lassen, bringt niemandem etwas.

Es ist nicht immer alles schwarz oder alles weiss. Dies gilt insbesondere auch für die Asylgegner. Auch hier wäre es schlichtweg zu einfach, sich diese als eine homogene Masse vorzustellen. Dort gibt es nicht nur Menschen mit rechtsextremen Gedanken, die im Namen der Meinungsfreiheit Hassparolen herumschleudern. Es gibt das ganze Spektrum: von Gewaltbereitschaft die an die Dreissigerjahre des letzten Jahrhunderts erinnert bis zu nachvollziehbaren Ängsten. Deshalb ist es wichtig, diese Menschen nicht kategorisch als dumme Neonazis abzustempeln. Gewaltakte, Hasskommentare und ähnliches, worüber anderswo schon genug berichtet wurde, sind zu verurteilen. Doch was ist mit all den anderen Menschen, die auch nur friedlich ihre Meinung ausgedrückt haben? Sollte man nicht mit ihnen Kontakt treten, herauszufinden versuchen, woran das liegt, dass diese Menschen solche Meinungen vertreten? Es kann sicherlich nicht schaden, sich auch einmal in die Situation dieser Menschen hineinzuversetzen. Denn selbst wenn man weiss, dass gewisse Fakten viele der Vorwürfe oder Befürchtungen, die da tagtäglich ausgesprochen werden, in Luft auflösen lassen oder wenigstens mindern können, ist es trotzdem wichtig, herauszufinden was so eine Haltung ausgelöst hat. Vielleicht steckt auch hinter der kategorischen Ablehnung von allem Fremden eine persönliche traumatische Erfahrung, oder gewisse historische oder gesellschaftliche Hintergründe sorgen dafür, dass diese Person die gleiche Situation ganz anders auffasst. Verständnis kann in diesem Fall entscheidend sein, auch wenn das je nach dem viel abverlangt. Aber es könnte ein entscheidender Schritt aus diesem Teufelskreis sein. Wer ständig gesagt bekommt, er sei ein Nazi oder ein Idiot, fühlt sich dann von der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik noch mehr verstossen, was dann gewisse Stimmungsmacher gnadenlos ausnutzen.

In der angespannten Lage, wie sie nun in Europa herrscht, wäre es also für alle Beteiligten und Unbeteiligten wichtig, sich in die jeweils andere Seite hineinzuversetzen. Vorurteile, Hass und Gewalt – auf welcher Seite auch immer – helfen niemandem etwas. Sie rufen nur noch mehr Vorurteile, noch mehr Hass und noch mehr Gewalt hervor. So eine Negativspirale darf nicht die Lösung sein. Wir haben auch keine Zeit für solche sinnlosen Streitereien.

Denn während wir uns gegenseitig darüber unterhalten welch utopische Gutmenschen und xenophobe Neofaschisten (und noch viel Schlimmeres, das nicht noch einmal wiederholt werden sollte) wir sind, uns gegenseitig vorwerfen, wir würden nicht richtig mit dieser Situation umgehen, sich Politiker Europas gegenseitig mit absurden Lösungsvorschlägen übertrumpfen, virtuelle Flüchtlingszahlen von Land zu Land herumgeschoben werden, um herauszufinden, wo man diese am besten unterbringen kann, ändert sich in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nichts, die Zustände werden auch in Zukunft unerträglich sein, die Welle der Verzweifelten wird nicht enden. Sie wird auch nicht enden wenn wir die Grenze zumauern. Die Grenzen zu schliessen würde nichts anderes bedeuten als die Augen zu schliessen. Irgendwann würde uns die Realität da draussen dann doch wieder mit voller Wuchteinholen.

Wie viele Menschen müssen denn noch sterben, bis wir endlich realisieren, um was es wirklich geht und uns endlich auf die Ursachen dieser Flüchtlingskrise konzentrieren? In der Aussenpolitik bedeutet dies zum Beispiel, dass man von den kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen, deren Nachteile uns alle irgendeinmal einholen, absehen sollte (das heisst keine Waffen in Diktaturen exportieren oder nicht länger über den katastrophalen Menschenrechtsstatus gewisser Länder hinwegschauen, weil diese Rohstoffe liefern). Stattdessen wäre es wichtig, auf Stabilität zu setzen mit dem Ziel, längerfristig für Prosperität und Frieden in diesen Ländern zu sorgen. Wenn dies gewährleistet ist, gibt es auch keinen Grund mehr zu fliehen und weniger Menschen würden nach Europa kommen. Das sollte das oberste Ziel der Aussenpolitik sein, denn es ist vollkommen klar, dass Europa nicht die ganze Bevölkerung Arabiens und Afrikas aufnehmen kann.

Doch damit ist die Aufgabe nicht beendet. Auch in Europa sollte das Ziel sein, Ängste zu entkräften. Auch hier sollte das Ziel eine Gesellschaft sein, in welcher das soziale und politische Leben nicht auf Negativität sondern auf Positivität gegründet ist, eine Gesellschaft, in welcher es allen Menschen möglich ist, ein würdevolles Leben zu ermöglichen – egal welche Meinung, Herkunft, Religion oder Geschlecht diese Menschen haben. So mancher wird nun sagen, das sei ein schöner Traum, die Realität sehe nun mal aber leider anders aus. Aber davon sollten wir uns nicht abschrecken lassen. Nur weil das bis jetzt so nicht funktioniert hat, heisst das noch lange nicht, dass das auch für die Zukunft gilt. Sich ein Ziel zu setzen bedeutet zudem nicht zwingend, dass man dies zu 100% erreichen muss, doch das Handeln sollte darauf ausgerichtet sein, dieser Vorstellung so nahe zu kommen, wie es die Umstände möglich machen. In diesem Fall ist das kein einfacher Weg, weil eine menschliche Gesellschaft ein komplexes System ist, dass aus vielen einzelnen Personen und Gruppen besteht, die alle unterschiedliche Ansichten und Bedürfnisse haben. Und deswegen sind wir nun alle als Einzelpersonen gefragt, einen Schritt in die richtige Richtung zu tun. So ist es wichtig, dass wir unsere Vorurteile und Ängste überwinden, auf die anderen Menschen zugehen, sie in unsere Gesellschaft einbeziehen, ihre Sorgen ernstnehmen und sie nicht irgendwelche Parallelgesellschaften ausschliessen, in denen sie sich dann immer mehr von den Idealen, die uns allen am Herzen liegen, wegbewegen. Nur so können die Worte Václav Havels, mit denen ich diesen Text nun beenden werde, auch einmal Wirklichkeit werden.

„Pravda a láska musí zvítězit nad lží a nenávistí“ – „Wahrheit und Liebe müssen siegen über Lügen und Hass“

wieviele tote???

How many roads must a man walk down
Before you call him a man?
How many seas must the white dove sail
Before she sleeps in the sand?

Yes, and how many times must the cannonballs fly
Before they are forever banned?
The answer, my friend, is blowin‘ in the wind
The answer is blowin‘ in the wind

Yes, and how many years can a mountain exist
Before it is washed to the sea?
Yes, and how many years can some people exist
Before they’re allowed to be free?

Yes, and how many times can a man turn his head
And pretend that he just doesn’t see?
The answer, my friend, is blowin‘ in the wind
The answer is blowin‘ in the wind

Yes, and how many times must a man look up
Before he can see the sky?
Yes, and how many ears must one man have
Before he can hear people cry?

Yes, and how many deaths will it take ‚til he knows
That too many people have died?
The answer, my friend, is blowin‘ in the wind
The answer is blowin‘ in the wind

Bob Dylan

bernhard jenny bloggt

grafik: bernhard jenny cc by

wieviele tote
braucht europa, um menschen,
die ihr leben retten müssen,
auf sicherem und legalem weg
aufzunehmen und zu schützen?

parndorf ist das lampedusa österreichs.

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Keine leichte Sommerlektüre [NoViolet Bulawayo – Wir brauchen neue Namen]

Beim Schreiben meiner Geschichte habe ich mir oft gedacht, ob diese – so wie ich sie mir vorstelle – nicht vielleicht allzu sehr eine Ansammlung von tragischen Ereignissen ist. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie ich das Ganze vielleicht ein bisschen auflockern könnte, damit das, was ich erzählen möchte nicht allzu schwer zu verdauen ist. Doch dann habe ich NoViolet Bulawayos Buch Wir brauchen neue Namen gelesen und mir wurde schlagartig bewusst dass es bei meiner Geschichte in Sachen schwieriger Erlebnisse noch eindeutig Spielraum nach oben gibt, was aber nicht heisst, dass ich meine Meinung gegenüber meiner noch titellosen Geschichte geändert hätte. Denn dieses Buch hier zu lesen war keine leichte Aufgabe.

Was Darling bereits in ihrer Kindheit und Jugend alles erleben musste, ist selbst für den Leser, der das Ganze mit einer gewissen Distanz erlebt, schliesslich ist er ja nicht selbst in dieser Situation, nur schwer zu ertragen. So wurde die Protagonistin in ihrem Leben unter anderem mit der Schwangerschaft ihrer etwa elfjährigen Freundin konfrontiert, die zuvor vergewaltigt worden war. Darling musste mitansehen, wie ihr Vater, nachdem er sich jahrelang nicht gemeldet hatte, plötzlich todkrank vor der Tür stand und schliesslich an AIDS starb. Auch der erhoffte Wandel traf nicht ein und die Diktatur schlug mit voller Gewalt zurück: es gab Morde und Verhaftungen. Doch damit war nicht genug. Hunger war für sie Alltag, regelmässig ging Darling mit ihren Freunden Guaven klauen, um wenigstens etwas in den Magen zu bekommen. So wurden sie auch einmal Zeugen, wie eine wildgewordene Meute ein reiches weisses Ehepaar verschleppte, um es wahrscheinlich später zu ermorden und in der Zwischenzeit dessen Villa auf den Kopf stellte. Darling hatte sich nicht immer in einer solch schwierigen Lage befunden. Früher hatte sie mit ihrer Mutter nicht in einer solchen Blechhütte gelebt, sondern in einem richtigen Haus mit allem Drum und Dran und ging zur Schule. Doch dann wurde ihre Siedlung rücksichtslos plattgewalzt und die Schule geschlossen, die Lehrer wanderten in die Nachbarstaaten ab, wo sie sich ein besseres Leben erhofften.

Die Geschichte zeigt aber nicht nur das. Schlussendlich gibt es auch für Darling einen Ausweg. Als Tante Fostalina sie nach Amerika holt, beginnt ein neues Leben für Darling, das auch neue Schwierigkeiten und Herausforderungen mit sich bringt. Zur üblichen Suche nach der Identität, wie sie in der Pubertät üblich ist, gesellen sich neue Probleme, für die die Protagonistin selbst am Ende des Buches keine vollständige Lösung gefunden hat. Darling ist hin und her gerissen zwischen ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart, zwischen Afrika und Amerika, zwischen zwei unterschiedlichen Lebensstilen und Weltanschauungen. Sie hat Sehnsucht nach ihrer Heimat und nach ihren Freunden, muss dann aber gegen das Ende des Buches merken, dass sie in der Zwischenzeit ein ganz anderes Leben gelebt hat als sie, während sich die anderen in Afrika weiterentwickelt haben und weiterhin den Schrecken von Armut und Diktatur ausgeliefert sind. Es gar nicht mehr so einfach, einander zu verstehen. Was bleiben sind die Erinnerungen an eine Zeit, die Darling so kein zweites Mal erleben wird.

Sprachlich hat die Autorin diese Geschichte sehr gut umgesetzt. Die Sprache Darlings mag manchmal etwas verstörend wirken, aber das hat viel damit zu tun, in welchem Umfeld, sie sich befindet. Allein an der Sprache und Ausdrucksweise der Ich-Erzählerin lässt sich ihre Entwicklung mitverfolgen.

Das Mädchen ohne grosse Schulbildung, welches Situationen detailgetreu beschreiben kann und schreckliche Ereignisse mit einer gewissen kindlichen Naivität wahrnimmt, die ihr hilft, auch in dieser schwierigen Zeit Gutes zu sehen, beginnt gewisse Zusammenhänge besser zu verstehen und entwickelt sich schliesslich zu einer Jugendlichen im Identitätskonflikt, die noch nicht so genau weiss, wo ihr Platz im Leben ist und was sie mit ihrer Zukunft anfangen soll und dabei immer wieder an ihre Kindheit erinnert wird.

Besonders erwähnenswert sind auch die Zwischenkapitel, in den sich NoViolet Bulawayo über die persönliche Sichtweise Darlings hinwegsetzt. Diese beiden Texte sind in einer sehr eindrücklichen, bildlichen, fast poetischen Sprache geschrieben. Darin werden Brücken geschlagen –von der fiktiven, persönlichen Geschichte Darlings geht die Autorin hier zum Schicksal von Tausenden von afrikanischen Emigrantinnen und Emigranten über. Das Kapitel Wie sie gingen beginnt mit den Worten:

Seht nur, sie gehen in Scharen, die Kinder des Landes, seht nur sie gehen in Scharen. Die nichts haben, überqueren Grenze. Die Kraft haben, überqueren Grenzen. Die ehrgeizig sind, überqueren Grenzen. Die Verluste beklagen, überqueren Grenzen. Die Schmerzen haben, überqueren Grenzen. Fahren, laufen, ziehen, gehen, wandern, verschwinden, fliegen, fliehen – überallhin, in nahe und ferne Länder, Länder, von denen sie noch nie gehört haben, Länder, deren Namen sie nicht aussprechen können.

In diesem keine zwei Seiten langen Text beschreibt Bulawayo nicht nur, was es bedeutet die eigene Identität und seine Wurzeln zurückzulassen, aber auch das Bewusstsein der Emigranten darüber, dass man in der neuen Heimat nicht offenen Händen auf sie warten wird. In einem weiteren solchen Kapitel wird dann die Situation in Amerika gezeigt.

Wir brauchen neue Namen von NoViolet Bulawayo ist ein sehr eindrückliches Buch, das uns das Schicksal einer jungen Frau näherbringt, die Gewalt und Hunger entflieht, sich auf den Weg macht nach Amerika, wo sie ganz neue Probleme erwarten. Es ist ein sehr kraftvolles Buch, das ich empfehlen kann, auch um besser verstehen zu können, was genau die Menschen in Afrika dazu bewegt, ihr Leben dort aufzugeben, und nach Amerika oder Europa zu kommen. Allerdings muss sich der Leser bewusst sein, dass der Inhalt nicht immer leicht zu verdauen ist, so wie die Guaven auch nicht.

264 Seiten ♥ Suhrkamp Verlag; 2. Auflage (18. August 2014) ♥ ISBN-10: 3518424513 ♥ ISBN-13: 978-3518424513 ♥ Englischer Originaltitel: We Need New Names