Keine leichte Sommerlektüre [NoViolet Bulawayo – Wir brauchen neue Namen]

Beim Schreiben meiner Geschichte habe ich mir oft gedacht, ob diese – so wie ich sie mir vorstelle – nicht vielleicht allzu sehr eine Ansammlung von tragischen Ereignissen ist. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie ich das Ganze vielleicht ein bisschen auflockern könnte, damit das, was ich erzählen möchte nicht allzu schwer zu verdauen ist. Doch dann habe ich NoViolet Bulawayos Buch Wir brauchen neue Namen gelesen und mir wurde schlagartig bewusst dass es bei meiner Geschichte in Sachen schwieriger Erlebnisse noch eindeutig Spielraum nach oben gibt, was aber nicht heisst, dass ich meine Meinung gegenüber meiner noch titellosen Geschichte geändert hätte. Denn dieses Buch hier zu lesen war keine leichte Aufgabe.

Was Darling bereits in ihrer Kindheit und Jugend alles erleben musste, ist selbst für den Leser, der das Ganze mit einer gewissen Distanz erlebt, schliesslich ist er ja nicht selbst in dieser Situation, nur schwer zu ertragen. So wurde die Protagonistin in ihrem Leben unter anderem mit der Schwangerschaft ihrer etwa elfjährigen Freundin konfrontiert, die zuvor vergewaltigt worden war. Darling musste mitansehen, wie ihr Vater, nachdem er sich jahrelang nicht gemeldet hatte, plötzlich todkrank vor der Tür stand und schliesslich an AIDS starb. Auch der erhoffte Wandel traf nicht ein und die Diktatur schlug mit voller Gewalt zurück: es gab Morde und Verhaftungen. Doch damit war nicht genug. Hunger war für sie Alltag, regelmässig ging Darling mit ihren Freunden Guaven klauen, um wenigstens etwas in den Magen zu bekommen. So wurden sie auch einmal Zeugen, wie eine wildgewordene Meute ein reiches weisses Ehepaar verschleppte, um es wahrscheinlich später zu ermorden und in der Zwischenzeit dessen Villa auf den Kopf stellte. Darling hatte sich nicht immer in einer solch schwierigen Lage befunden. Früher hatte sie mit ihrer Mutter nicht in einer solchen Blechhütte gelebt, sondern in einem richtigen Haus mit allem Drum und Dran und ging zur Schule. Doch dann wurde ihre Siedlung rücksichtslos plattgewalzt und die Schule geschlossen, die Lehrer wanderten in die Nachbarstaaten ab, wo sie sich ein besseres Leben erhofften.

Die Geschichte zeigt aber nicht nur das. Schlussendlich gibt es auch für Darling einen Ausweg. Als Tante Fostalina sie nach Amerika holt, beginnt ein neues Leben für Darling, das auch neue Schwierigkeiten und Herausforderungen mit sich bringt. Zur üblichen Suche nach der Identität, wie sie in der Pubertät üblich ist, gesellen sich neue Probleme, für die die Protagonistin selbst am Ende des Buches keine vollständige Lösung gefunden hat. Darling ist hin und her gerissen zwischen ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart, zwischen Afrika und Amerika, zwischen zwei unterschiedlichen Lebensstilen und Weltanschauungen. Sie hat Sehnsucht nach ihrer Heimat und nach ihren Freunden, muss dann aber gegen das Ende des Buches merken, dass sie in der Zwischenzeit ein ganz anderes Leben gelebt hat als sie, während sich die anderen in Afrika weiterentwickelt haben und weiterhin den Schrecken von Armut und Diktatur ausgeliefert sind. Es gar nicht mehr so einfach, einander zu verstehen. Was bleiben sind die Erinnerungen an eine Zeit, die Darling so kein zweites Mal erleben wird.

Sprachlich hat die Autorin diese Geschichte sehr gut umgesetzt. Die Sprache Darlings mag manchmal etwas verstörend wirken, aber das hat viel damit zu tun, in welchem Umfeld, sie sich befindet. Allein an der Sprache und Ausdrucksweise der Ich-Erzählerin lässt sich ihre Entwicklung mitverfolgen.

Das Mädchen ohne grosse Schulbildung, welches Situationen detailgetreu beschreiben kann und schreckliche Ereignisse mit einer gewissen kindlichen Naivität wahrnimmt, die ihr hilft, auch in dieser schwierigen Zeit Gutes zu sehen, beginnt gewisse Zusammenhänge besser zu verstehen und entwickelt sich schliesslich zu einer Jugendlichen im Identitätskonflikt, die noch nicht so genau weiss, wo ihr Platz im Leben ist und was sie mit ihrer Zukunft anfangen soll und dabei immer wieder an ihre Kindheit erinnert wird.

Besonders erwähnenswert sind auch die Zwischenkapitel, in den sich NoViolet Bulawayo über die persönliche Sichtweise Darlings hinwegsetzt. Diese beiden Texte sind in einer sehr eindrücklichen, bildlichen, fast poetischen Sprache geschrieben. Darin werden Brücken geschlagen –von der fiktiven, persönlichen Geschichte Darlings geht die Autorin hier zum Schicksal von Tausenden von afrikanischen Emigrantinnen und Emigranten über. Das Kapitel Wie sie gingen beginnt mit den Worten:

Seht nur, sie gehen in Scharen, die Kinder des Landes, seht nur sie gehen in Scharen. Die nichts haben, überqueren Grenze. Die Kraft haben, überqueren Grenzen. Die ehrgeizig sind, überqueren Grenzen. Die Verluste beklagen, überqueren Grenzen. Die Schmerzen haben, überqueren Grenzen. Fahren, laufen, ziehen, gehen, wandern, verschwinden, fliegen, fliehen – überallhin, in nahe und ferne Länder, Länder, von denen sie noch nie gehört haben, Länder, deren Namen sie nicht aussprechen können.

In diesem keine zwei Seiten langen Text beschreibt Bulawayo nicht nur, was es bedeutet die eigene Identität und seine Wurzeln zurückzulassen, aber auch das Bewusstsein der Emigranten darüber, dass man in der neuen Heimat nicht offenen Händen auf sie warten wird. In einem weiteren solchen Kapitel wird dann die Situation in Amerika gezeigt.

Wir brauchen neue Namen von NoViolet Bulawayo ist ein sehr eindrückliches Buch, das uns das Schicksal einer jungen Frau näherbringt, die Gewalt und Hunger entflieht, sich auf den Weg macht nach Amerika, wo sie ganz neue Probleme erwarten. Es ist ein sehr kraftvolles Buch, das ich empfehlen kann, auch um besser verstehen zu können, was genau die Menschen in Afrika dazu bewegt, ihr Leben dort aufzugeben, und nach Amerika oder Europa zu kommen. Allerdings muss sich der Leser bewusst sein, dass der Inhalt nicht immer leicht zu verdauen ist, so wie die Guaven auch nicht.

264 Seiten ♥ Suhrkamp Verlag; 2. Auflage (18. August 2014) ♥ ISBN-10: 3518424513 ♥ ISBN-13: 978-3518424513 ♥ Englischer Originaltitel: We Need New Names